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维也纳现代派概述

BPD

A U S T R

I A

Herausgegeben vom

Bundespressedienst

Wiener Moderne 1890 – 1910

Die Wiener Moderne

1890–1910

Herausgegeben vom Bundespressedienst

Wien 1999

Titelbild:

Gustav Klimt, Der Ku?, 1907/08

Bildnachweis:

Arnold Sch?nberg-Center, ? VBK Wien

Foto Peter Mertz

Graphische Sammlung Albertina

Historisches Museum der Stadt Wien

Institut für Geschichte der Medizin

Museum für angewandte Kunst

Neue Illustrierte Welt

Neue Pinakothek München, Foto Artothek Blauel/Gnamm

?sterreichische Galerie im Belvedere

?sterreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

?sterreichisches Theatermuseum

Salzburger Festspiele, Foto Rabanus

Sigmund Freud-Haus, Foto Max Halberstadt? W. Ernest Freud/Mark Paterson & Associates Staatliche Museen zu Berlin – Preu?ischer Kulturbesitz, Nationalgalerie, Foto: J?rg P. Anders Stiftung Leopold

Universit?t für angewandte Kunst

Viennaslide, Harald Jahn

Wiener Stadt- und Landesbibliothek

Medieninhaber (Verleger):

Bundeskanzleramt, Bundespressedienst

A-1014 Wien, Ballhausplatz2, Telefon: ++43/1/531 15/0

Fax: ++43/1/531 15/2880, e-mail: press-info.service@iii3.bka.bka.gv.at

http://www.austria.gv.at

Auszugsweiser Abdruck des Textes gestattet.

Autor:

Dr. Isabella Ackerl

Redaktion:

Abteilung III/3

Graphische Gestaltung:

Mark& Nevosad

Hersteller:

Druckerei Gerin

A-2120 Wolkersdorf

4Die Wiener Moderne – eine Standortbestimmung 6Wien – die Bühne des Geschehens

6Eine Stadt als Brutst?tte von Polarit?ten 9

Residenzstadt Wien – kleinst?dtische Metropole

12Ideen und Befindlichkeiten

12Bücher schaffen neue Denkwelten

12Sigmund Freuds Werk …Die Traumdeutung“13Der Fall Otto Weininger

14Theodor Herzls Vision vom jüdischen Staat 15Institutionen als Vehikel der Erneuerung

15Goldenes Zeitalter der Secession 16Gründung der …Wiener Werkst?tte“

17Das Wiener Kaffeehaus und der Wiener Salon 18Frauenbilder der Wiener Moderne

21Sommerfrische – …Seelenlandschaften der Künstler“

22Die Bildenden Künste – Sch?nheit im Untergang

23Gustav Klimt und sein Thema: Die Frauen 26Egon Schiele und Oskar Kokoschka, die Verst?rer 28Arnold Sch?nberg, der malende Komponist

30Die Welt der Dichter

30Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal, die Chronisten einer untergehenden Gesellschaft 32Karl Kraus, der radikale Pessimist

33Peter Altenberg, der Kaffeehausliterat schlechthin

34Architektur der Moderne

34Otto Wagner, der Wegbereiter einer neuen Architekturgesinnung 38Adolf Loos und sein …Scheusal von einem Haus“39

Der Gesamtkünstler Josef Hoffmann

40Wien – Welthauptstadt der Musik

40Gustav Mahler und Alfred Roller 42

Arnold Sch?nberg und sein Kreis

Inhaltsverzeichnis

4Die Wiener Moderne – eine Standor tbestimmung

Die intensive Auseinandersetzung mit der Wiener Moderne,

der Kunst und Kultur der beiden Dezennien zwischen 1890

und 1910, setzte in den sechziger Jahren des20. Jahrhun-

derts ein. Noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren

Artefakte dieser Epoche auf dem Kunstmarkt relativ feil zu

erwerben. Spitzenreiter in der allgemeinen Anerkennung

war ohne Zweifel die Architektur. Die Wertsch?tzung für die

Architektur der Jahrhundertwende begann schon früher.

Der gro?e Boom der Besch?ftigung mit der Wiener Moderne

erhielt seinen Impuls aus dem Ausland. Kulturwissenschaft-

ler wie Carl E. Schorske trugen mit ihren Arbeiten ganz we-

sentlich dazu bei. Vor allem der in Amerika lehrende Schor-

ske kann als Pionier der Forschung zur Wiener Moderne be-

zeichnet werden. Sein Opus magnum …Fin-de-Siècle Vienna“

ist noch immer ein Standardwerk zum Verst?ndnis der Epo-

che. Den n?chsten Entwicklungsschub einer fundierten For-

schung l?sten die G ro?ausstellungen der achtziger Jahre

aus: …Arte in Vienna“ in Venedig (1984), …Traum und Wirk-

lichkeit“ in Wien (1985) und …L′Apocalypse joyeuse“ in Paris

(1986). In allen drei Ausstellungen wurde in seltener Dichte

historische Entwicklung und Kunstschaffen der Epoche,

sowie das Weiterwirken der Tendenzen bis zum Jahre 1938

einer begeisterten ?ffentlichkeit pr?sentiert.

Die Wiener Moderne wurde das Forschungsthema schlecht-

hin. Je n?her die Wende des20.Jahrhunderts rückte, desto

mehr trat der G lanz der Epoche vor einem Jahrhundert in

den Mittelpunkt des Interesses. Die Frage …Wie war eine

derartige Konzentration von Spitzenleistungen der Kunst

und Kultur in nur zwei Dezennien m?glich?“ wurde zur ent-

scheidenden Forschungsfrage, aber auch zur bangen Gewis-

senserforschung, ob denn neuerlich ein derartiger H?he-

punkt m?glich w?re. Man suchte und sucht eigentlich noch

immer nach den Rahmenbedingungen, die einen derartigen

…status of excellence“ erm?glicht

haben. Nun bestand

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D i e W i e n e r M o d e r n e – e i n e S t a n d o r t b e s t i m m u n g

Einigkeit darüber, da? die Moderne nicht nur in Wien Triumphe feierte, doch gingen die Einsch?tzungen so weit,…Wien als Brennspiegel der europ?ischen Moderne“(Nautz/Vahrenkamp) zu betrachten. Im Wien der Jahrhun-dertwende hat sich nach Meinung der Forscher die europ?i-sche Moderne in klarster und intensivster Form etabliert.Die Denkgrundlagen für das 20. Jahrhundert wurden nicht nur in Wien geschaffen, aber was w?re dieses Jahrhundert ohne Freuds Psychoanalyse, ohne die Zw?lftonmusik Arnold Sch?nbergs, ohne Arthur Schnitzlers …Seelenlandschaften“oder ohne Gustav Mahlers Musik und seine Interpretationen des zeitgen?ssischen Musikschaffens.

Die Diskussion um den Stellenwert der Wiener Moderne scheint auch nach fast zwei Jahrzehnten intensiver For-schungen l?ngst nicht beendet. Jüngste Publikationen sch?tzen die Moderne unter dem Eindruck der Postmoder-ne, die allgemein als Ph?nomen einer Krise gesehen wird,anders ein. Der franz?sische G ermanist Jacques Le Rider sieht auch in der Moderne Entwurzelungen und Krisenph?-nomene. Le Rider bezeichnet sie als Krise des Liberalismus,als Krise der M?nnlichkeit und als Krise der jüdischen Iden-tit?t. Nach dem B?rsenkrach des Jahres 1873 hatte der Libe-ralismus, dem sich alle gro?en Exponenten der Wiener Mo-derne zuz?hlten, den Boden unter den Fü?en verloren und war durch die Massenparteien entmachtet worden. Die Ideen des Theoretikers des Mutterrechts Bachofen, der eine deutlich merkbare Rückkehr des Weiblichen in der Kultur

prophezeite, und die gleichzeitig vehement artikulierten weiblichen Emanzipationsbestrebungen verunsicherten die M?nnerwelt. Als Reaktion darauf ergab sich Frauenha? in den verschiedensten Nuancen. Die Krise der jüdischen Iden-tit?t erwuchs aus dem stetig wachsenden Antisemitismus der Deutschnationalen und der Christlichsozialen.

Zur Zeit der Wiener Moderne entstand auch die Akzeptanz

der Krise als Entwicklungselement, als eine m?gliche Le-bensform. Denn neuere Forschungsans?tze glauben ja l?ngst nicht mehr an den best?ndigen Fortschritt, an die endzeitlich erreichbare Harmonie gleichf?rmiger Erschei-nungen, vielmehr wird die bewu?te Annahme und Wert-sch?tzung der Vielfalt, der Widersprüchlichkeit und der He-terogenit?t als Wert für sich gesehen. Dies ist nicht zuletzt auch eine Bilanz aus den Erfahrungen der G eschichte die-ses 20. Jahrhunderts.

Zus?tzlich zu den nun pr?ziser formulierten Befunden kon-zentriert sich das Interesse der Forschung vermehrt auf die Wiener Ph?nomene Multikulturalit?t und auf die Gleichzei-tigkeit h?chst kontr?rer Auffassungen. Schlie?lich war die Moderne ja von heftigstem Widerstand konservativer Zeit-genossen begleitet. Jedenfalls wird die Diskussion um die Moderne offenbar noch eine Weile anhalten, was der Erfor-schung vieler, l?ngst nicht hinl?nglich dokumentierter Be-reiche nur guttun kann.

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Wien – die Bühne des Geschehens

Keineswegs sollte man meinen, da? die Jahrhundertwende eine Epoche des siegessicheren Aufschwungs, des unbe-schwerten G laubens an die Zukunft gewesen w?re. Im G e-genteil: Das geistige und kulturelle Klima schwankte extrem zwischen H?hen und Tiefen, zwischen den Polen Fort-schrittsglauben und Untergangsstimmung. Die Menschen waren fasziniert von den Erfolgen und M?glichkeiten von Technik und Industrialisierung. Doch auch die Grenzen von Mechanisierung, Urbanisierung wurden mit allen damit ver-bundenen Problemen intensiv empfunden. Je weiter die Ra-tionalisierung des Weltbildes voranschritt, desto vehemen-ter artikulierten sich Sehnsüchte nach Irrationalem. Heils-ideologien hatten Hochkultur.

Der Kulturpessimismus eines Ludwig Wittgenstein (1889–1951), die skurril und absurd aussichtslose Welt Franz Kafkas (1883–1924) sind kristalline Ausformungen des Zusammenbruchs gewohnter Denkwelten. Wittgenstein meinte, da? infolge des Abbaus der soziokulturellen Ord-nung jeder auf sich allein angewiesen sei. Arthur Schnitzler (1862–1931), Arzt und Dramatiker und somit zweifacher The-rapeut seiner Umwelt, portr?tierte die Wiener G esellschaft auf ihrem Weg in Untergang und Tod. Aussichtslosigkeit und Resignation geben den Grundton an.

Staat und Gesellschaft befanden sich auf dem Weg von der Stabilit?t in die Labilit?t. Die Menschen lebten zwar in einem ges?ttigten G efühl der Sicherheit, d.h. es herrschte seit den sp?ten sechziger Jahren eine bisher kaum erlebte lange Friedensperiode. Relativer Wohlstand erlaubte unge-trübte Blicke in eine weitere Zukunft. Und doch brodelte es unter der Oberfl?che: Es gab eine Reihe ungel?ster politi-scher und sozialer Probleme – etwa die Frage der Nationa-lit?ten oder die auf allen Ebenen schwelende Frage der so-zialen Ungleichheiten. Die Krisenbew?ltigung scheiterte am

Eine Stadt als

Brutst?tte von Polarit?ten

Vorhandensein ganzheitlicher L?sungsans?tze. Mit dem Jahrhundert ging auch der Fortschrittsoptimismus zu Ende.Die überzeugung, da? alles m?glich w?re, mu?te gründlich revidiert werden. Dazu kamen asynchrone Entwicklungen,ein in der Donaumonarchie sp?ter als anderswo einsetzen-

der Modernisierungsschub brachte das ausgehende Jahr-hundert zum Straucheln.

So ist Wiener Moderne gleichzeitig verbunden mit dem G lanz der Klimt′schen Bilder und Spitzenleistungen auf dem Felde der Wissenschaft, aber auch überschattet von politischen Mi?bildungen wie dem virulenten Antisemitis-mus, von politischen Spannungen und Zwisten vorwiegend zwischen den Nationalit?ten. Die künstlerischen und wis-senschaftlichen Spitzenleistungen vermochten die Proble-me in den Schatten zu stellen, sie aber nicht zu l?sen. Die Jahrhundertwende ist eine vielfach ambivalente übergangs-zeit, in der alle Samen der Katastrophen des 20. Jahrhun-derts ges?t wurden. In den beiden Jahrzehnten zwischen

1890 und 1910 war Wien Eldorado der Künste, einsame H?hepunkte in Musik und Literatur sind untrennbar mit dem Wien dieser Jahre verbunden. Namen wie Egon Schiele (1890–1918) und Oskar Kokoschka (1886–1980), G ustav Mahler (1860–1911) und Arnold Sch?nberg (1874–1951), Carl Menger (1840–1921) und Hans Kelsen (1881–1973) stehen für Weltklasse in Kultur und den Geisteswissenschaften. Es scheint plausibel, gerade aus dem Vorhandensein der Pola-rit?ten von fortschrittlich und reaktion?r, von libert?r und bewahrend, von …Traum und Wirklichkeit“ (G y?rgy Lukács)das besondere geistige Klima und die kreative Atmosph?re

herzuleiten, die das Au?ergew?hnliche dieser Epoche kreie-ren. Es gibt Stimmen, die meinen, die Moderne bestehe in der Zusammenfassung von fundamentalen Gegens?tzen.

Zieht man beispielhaft einige Bereiche des politischen und kulturellen Lebens heran, so ist es immer wieder faszinie-rend, die …Antinomien der Moderne“ (Johannes Wei?) zu entdecken. Friedensordnung für eine Welt von morgen stand neben sinnlosem Zerst?rungswahn, Emanzipation (von Frauen, Randgruppen, Minderheiten) wurde durch

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W i e n – d i e B üh n e d e s G e s c h e h e n s

wüste Unterdrückungsmechanismen egalisiert. All dies wird begleitet von einer generellen Sehnsucht nach Harmonie,nach Aufhebung der Antinomien, nach dem Heilsweg zur L?sung aller Fragen.

Dem Traum von Harmonie entspricht in der Tat der generelle Trend zum Gesamtkunstwerk, das Kunst, Wissenschaft und Metaphysik in sich vereint. Friedrich Nietzsche (1844–1900)und Richard Wagner (1813–1883), Hermann Bahr (1863–1934) und G ustav Mahler sowie G ustav Klimt (1862–1918) und in dessen Nachfolge die Künstler der Se-cession und der Wiener Werkst?tten suchten Wege zu einem G anzen. Tats?chlich waren es wohl viele Entwürfe für eine plurale Welt. Der politische Philosoph Norbert Leser formu-liert hierzu eine Ambivalenzthese, Schorske stellt bewu?t die kulturelle Blüte der Moderne in ein Umfeld politischer Desintegration.

Die Moderne selbst wollte nicht nur als Gegensatz zu bishe-rigen Trends und Stilrichtungen angesehen, d.h. gleichsam als normale ?nderung in der Folge der G enerationen, son-dern sie wollte als futuristisches Prinzip anerkannt werden.So wie ein ins Wasser geworfener Stein immer gr??ere Krei-se zieht, wuchs die Moderne in Wien aus den ersten Erw?h-nungen in Essays Hermann Bahrs, eroberte die Literatur,pr?gte in der Secessions-Bewegung die bildenden Künste und ebnete dem Expressionismus den Weg, der sich an-schickte, die Moderne im Jahrzehnt nach der Jahrhundert-wende zu überwinden. Hermann Bahr selbst meinte sp?ter,er habe das Abendrot ?sterreich-Ungarns f?lschlich für ein Morgenrot gehalten.

Ein wesentliches Kriterium der Wiener Moderne war wohl ihr Hang zur Subjektivit?t. Die hohe Einsch?tzung des Indi-viduums, ein überbleibsel der liberalen ?ra, schuf die Bio-sph?re für die edankenwelt eines Sigmund Freud (1856–1939), aber auch für die Wiener Schule der Natio-nal?konomie, die sich mit ihrem Hauptvertreter Carl Menger auf einen methodologischen Individualismus stützte.

Die Naturwissenschaften dieser Zeitenwende wurden vor-wiegend von der Empirie bestimmt, die Welt wurde als

gesamter Komplex, fern jeder Metaphysik der Philosophie und der Naturwissenschaften, wahrgenommen. Beispielhaft für diesen Zugang steht der Physiker und Philosoph Ernst Mach (1838–1916).

Nicht die Gesamtheit der Welt, sondern nur einen sehr be-schr?nkten Ausschnitt analysierten im Bereich der Sprache etwa Karl Kraus (1874–1936) und Ludwig Wittgenstein, Adolf Loos (1870–1933) beschr?nkte seine radikalen Analysen auf die Architektur, der Kreis um den Philosophen Moritz Schlick (1882–1936) konzentrierte sich auf die Wahrheit von Aussagen.

Grunds?tzlich verfehlt w?re es, die Wiener Moderne als eine indigene Sch?pfung darzustellen, die v?llig isoliert von ihrer Umwelt im kulturellen Europa blühte. Entscheidende Einflüsse kamen aus Deutschland, Friedrich Nietzsche und Richard Wagner spielten eine wichtige Rolle, aber auch die

kulturelle Szene in Paris oder Rom hatte ihre Auswirkungen auf Wien. Der Literat und Essayist Hermann Bahr fungierte fast wie eine Schaltstelle. Er berichtete in Wien, was anders-wo gedacht und geschrieben wurde. Für den Philosophen Wittgenstein war es die Denkschule von Cambridge, die seine Arbeit nachhaltig beeinflu?te. Der Architekt Loos wurde durch die Eindrücke der Bauten in Paris und Chicago in seinen Ansichten pr?ziser. Die Idee zur …Wiener Werkst?t-te“ war gar ein Import aus Gro?britannien und verstand sich als Antwort und überwindung des Historismus. So ist die Wiener Moderne jeweils im Spiegel der Au?eneinflüsse und der im Lande latent vorhandenen politischen und gesell-schaftlichen Rückst?ndigkeit zu beurteilen.

Auch die Wirkungen der Wiener Moderne nach au?en waren durchaus bedeutsam. So sei an das Palais Stoclet in Brüssel erinnert, ein Gesamtkunstwerk des gro?en Josef Hoffmann (1870–1956) und der …Wiener Werkst?tte“. Wichtige Einflüs-se in die Darmst?dter Künstlerkolonie (…Luisenh?he“)kamen durch Joseph Maria Olbrich (1867–1908), den Erbau-er des Secessionsgeb?udes. G ustav Mahler dirigierte in zahlreichen gro?en St?dten Europas und Amerikas, Oskar

Kokoschkas Bilder traten einen Siegeszug durch Deutsch-lands G alerien an. Die Emigration des G eisteslebens aus

?sterreich, die schon in den sp?ten zwanziger Jahren, als sich im Gefolge des wirtschaftlichen Niedergangs das perverse Antlitz des Antisemitis-mus immer intensiver zeigte, einsetz-te, führte den Rechtstheoretiker Hans Kelsen zuerst nach Deutschland und dann in die USA, ebenso wie den ge-nialen Wirtschaftswissenschaftler

Josef Schumpeter (1883–1950). Lud-

wig Wittgenstein fand eine neue Gei-

stesheimat in Cambridge. Mit1938

verliefen die letzten Spuren der Wie-

ner Moderne, sie ging – so sie dazu

in der Lage war – in die Emigration,

zumeist in den angloamerikanischen

Raum. Von dort aus erwuchs auch

das erste Interesse an den Wurzeln der Wiener Moderne.

So ergab sich die durchaus logische Frage nach den kreati-vit?tsf?rdernden Faktoren. Die Sehnsucht nach einer Wie-derholung einer derart dichten Phase geistigen und künst-lerischen Schaffens ist sehr verst?ndlich. Die Forschung widmete sich dem Problem des…kreativen Milieus“, teils mit dem Hintergedanken, da?, wenn man diesem einmal auf die Spur gekommen w?re, es sich vielleicht ein zweites Mal schaffen lie?e. Diese Intensit?t der Suche macht etwa ein Urteil wie dies von Alan Janik begreiflich, der die beiden Jahrzehnte zwischen 1890 und 1910 eine …Silicon Valley des Geistes“ nannte. Inzwischen wurde eine Reihe von Theorien zu den …conditions of excellence“ (dies die Formulierung der ?sterreichischen Forschungsgemeinschaft, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit der G eschichte Wiens um 1900 befa?t) geboren. Der lange in Amerika lehrende ?ster-reichische Historiker Robert A. Kann (1906–1981) wollte lie-ber die Voraussetzungen definiert haben. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, die fast einer historischen Ironie gleicht, da? die Künstler selbst das Wiener Milieu eher als Hemmschuh denn als f?rderndes Element empfanden.

Die Tr?gerschichte dieser Wiener Moderne war eine junge Generation, die ihrem Herkommen nach aus dem liberalen Bürgertum stammte. Ihre V?ter hatten es durch wirtschaftli-che Erfolge in der liberalen ?ra zu Ansehen gebracht. Sie fühlten sich nicht durch die Schranken einer Adels-

gesellschaft beeintr?chtigt, sondern

durch das Aufkommen des Proletariats

bedroht. Es war eine inhomogene

Schicht, die darauf mit der Forderung

nach Homogenit?t reagierte. Sie verab-

scheuten das Stilmix des Historismus,

sie verteufelten die beliebige Vielfalt

der Ringstra?en?ra. Die üppigkeit des Makart′schen Wohnstils, die ihnen oberfl?chlich erschei-nende Dekorationswut der Bankierspalais, das un-reflektierte Wuchern sprachlicher Arabesken – dies sind für einen Karl Kraus, einen Adolf Loos oder einen Arnold Sch?n-berg die erkl?rten G egenpositionen, die sie verdammen. Die Puristen der Sprache, des Klangs und der Form loten G renzen aus, sie k?mpfen um Reinheit. Jede Verknüpfung eines Kunstwerkes, das sie als etwas v?llig Autonomes be-trachten, mit der Zweckhaftigkeit des Alltags wird als Sakri-leg abgetan.

Eine der Ursachen für die geistigen H?chstleistungen dieser Epoche wird auch in der Spannung und dem geistigen Aus-tausch zwischen den Provinzmetropolen der Monarchie und der Residenz Wien gesehen. Fermentartig habe dies den Kreativit?tsschub der Jahrhunderwende herbeigeführt. Die Submetropolen dienten als Probebühne für den kosmopoli-tischen Brennpunkt Wien.

Ein weiteres Element für den kreativen Frühling wird in der repressiven Haltung der katholischen Kirche gegen alles Neue gesehen. Dies habe den Widerstandsgeist erwachen lassen, die Kreativit?t erwuchs aus der Oppositionshaltung.

Ansicht der

neogotischen

Votivkirche

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W i e n – d i e B üh n e d e s G e s c h e h e n s

Wien, die Residenzstadt der habsburgischen Doppelmonar-chie, besa? kaum bürgerliche Traditionen. Wien war immer die Stadt des Adels und der Bedienten, das kaiserliche Hof-lager und der Winterwohnsitz der Herrschenden gewesen,aber nie konnte sich in dieser Stadt eine breite Bürger-schichte etablieren, die der Stadt ihren Stempel aufdrückte.Dieser tief empfundene Mangel an nicht existierender bür-gerlicher Tradition findet seinen beredten Ausdruck bei der Entscheidung für den Neubau des Wiener Rathauses. Wien imitierte den Stil der westeurop?ischen Bürgermetropolen und Handelszentren, die Stadt wollte bewu?t nachholen,was wohl einst vers?umt wurde. Der Prunk der Ringstra?en-bauten, die Kulturtempel der liberalen ?ra werden von Hi-storikern als bürgerliche Sakralbauten interpretiert. Die bis heute nachwirkende Sakralisierung des Kulturortes l??t sich durchaus auf den bürgerlichen Nachholbedarf des letz-ten Viertels des 19. Jahrhunderts zurückführen.

In der zweiten H?lfte des 19. Jahrhunderts erfolgte zwar in Wien nach dem Schleifen der alten Befestigungsanlagen ein

gewaltiger Modernisierungsschub. Es war, als ob sich die Stadt aus einem Korsett befreit h?tte. G ro?zügige Bauten,breite Alleestra?en, moderne Verkehrswege entstanden.

Die Infrastruktur einer modernen Gro?stadt, Wasserbauten und Energieversorgung, wurden schnell vorangetrieben.Neue Verkehrsmittel, wie Bahn, Fahrrad und Auto, l?sten das Pferd als Ma?stab für die Fortbewegungsgeschwindig-keit des Menschen ab. Es hei?t, da? nichts so sehr die Emanzipation der Frauen gef?rdert habe wie das Fahrad.

Die Eisenbahn wiederum begünstigte die Mobilit?t der ?rmeren Schichten und führte zu einem rasant steigenden Zuzug in die Metropolen, vor allem nach Wien.

Dies alles kontrastierte mit einer breiten Verelendung der untersten Schichten. Die bittere Armut der Ziegelarbeiter,die steigende Pauperisierung des Vorstadtproletariats, gra-vierende sozialen Fehlentwicklungen waren in der nachlibe-ralen ?ra nicht mehr in den Griff zu bekommen. Viele nega-tive Wirkungen wurden durch die politische Rückw?rtsge-wandtheit, die meinte mit Dirigismus der Entwicklungen Herr zu werden, verst?rkt. Dazu kam eine h?chst ausgefeilte Bürokratie, die stabilisierend wirkte. Manche Historiker meinen sogar, sie w?re geradezu …technokratisch“ (Wolf-gang Mantl) gewesen.

Um 1900 machte sich im politischen Wien eine morbide Un-tergangsstimmung breit. Eine der Ursachen war der Auf-stieg neuer Klassen zum politischen Licht, d.h. zur Anteil-

nahme am politischen Leben. Die neuen Massenparteien –

Residenzstadt Wien –

eine kleinst?dtische Metropole

Das nach dem Vorbild west-europ?ischer Rath?user im Stil der Neo-gotik errichtete Wiener Rathaus

Heinrichshof vis-à-vis der Oper

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Christlichsoziale und Sozialdemokraten – untergruben h?chst erfolgreich die politische Basis der bisherigen Eliten.Die Massenparteien wurden zum Anwalt des Massenelends,sie verkündeten als Zukunftsperspektive eine neue Massen-kultur. Vermischt und intensiviert wurde diese neue politi-sche Gemengelage durch die Nationalit?tenkonflikte, derer Herr zu werden einer versteinerten Nomenklatura der Ver-waltung nicht gelang. Weder für das nationale Problem noch für die soziale Frage lieferte die Bürokratie Antworten, die Politik bot bessere oder schlechtere Visionen, doch keine realen, auf eine mittlere Perspektive hin orientierte L?sungen.

Ein halbes Jahrhundert zuvor wu?te jeder, wo sein Platz war. Die Bürger der Stadt, die Menschen auf dem Lande ver-fügten über eine klare Beheimatung und ein ebenso klares Bild von den Gewalten, die ihr Leben bestimmten. Der Staat und seine Helfer, der Adel und die Kirche waren eine klar definierte Machtgemeinschaft, mit der zu leben die Men-schen gelernt hatten. Im Zuge der S?kularisation und

Segmentierung der Gesellschaft trat Orientierungslosigkeit ein, die Aufhebung der Unterschiede lie? an allem und jedem zweifeln. Auch Joseph Roths (1894–1939) Romanfi-gur, der Bezirkshauptmann Trotta, ein Ordnungsfaktor in seiner Umwelt, dessen Weltbild von G enerationen vorge-formt erscheint, wird in einem rasanten Ver?nderungspro-ze? seiner Sicherheit und seiner Autorit?t beraubt. Doch die Verwaltung, die Bürokratie bewahrte noch immer eine kal-mierende Kraft, sie gl?ttete die Wogen und verhinderte damit eine Implosion. Dieses subkutane Wissen um die Be-harrungseffekte der Bürokratie machten den Beamten zur Literaturfigur schlechthin. Der literarisch gebildete und zu-weilen auch heimlich literarisch t?tige Beamte wurde zum Garanten des Weiterlebens eines politisch l?ngst hinf?lligen Staatsk?rpers. Der Traum eines Regierungschefs, die Le-benslüge der dahingehenden Monarchie war das Regieren via apolitischer Beamtenkabinette, letztlich die Perpetu-ierung des Unver?nderlichen.

Schorske fand für die Diskrepanz von politischer Erstarrung und kulturellem Aufbruch in der Moderne ein freudiani-sches Erkl?rungsmodell. Er meinte, da? Kunst und Kultur des Fin des siècle als Surrogate, als Sublimierungen für den

Bürger, der politisch nicht aktiv werden konnte, dienten.

Ideen, die Krise zu überwinden und Gremien für einschl?gi-ge Diskussionen fehlten. Es fehlte die Diskussionskultur westlicher Demokratien, vor allem auf der konservativen Seite. Auch der Reformkatholizismus stand noch auf sehr schwachen Beinen. Ignaz Seipel (1876–1932), Moraltheolo-

ge in Salzburg, w?re zu jenen weiterschauenden Priester-

Das Geb?ude der Gartenbau-gesellschaft, links im Hinter-grund das Palais Coburg-Gotha

Drahtseilbahn auf die Sophienalpe

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W i e n – d i e B üh n e d e s G e s c h e h e n s

politikern zu rechnen, die manche Zeichen des Wandels richtig zu deuten wu?ten und bereit waren, Ver?nderungen als unausweichlich zu akzeptieren.

Diese Jahrhundertwende generierte auch das Vokabular,das für die Schrecknisse dieses 20. Jahrhunderts die Fah-nenw?rter lieferte und somit leitmotivisch verantwortlich zu machen ist. Die um die Mitte des Jahrhunderts zur Untat ge-wordenen Ideen wurden um die Jahrhundertwende als W?r-ter und Begriffe geboren. So lancierte etwa der überzeugte Zionist und Korrespondent der …Neuen Freien Presse“ in Paris Max Nordau (1849–1923) den Begriff …Entartung“, um von ihm als negativ empfundene Elemente seiner Zeit zu be-zeichnen. Welchen Weg des Bedeutungswandels dieses Wort nahm, wissen wir alle.

Wien war auch der N?hrboden eines breiten Antisemitis-mus, wodurch die fortschrittliche jüdische Intelligenz dop-pelt diskriminiert wurde. Jüdisch und fortschrittlich gleich-zeitig zu sein, entsprach nicht dem gesellschaftlichen Com-ment. Zur überwindung dieser ablehnenden Front ent-wickelte die jüdische Intelligenz eine hohe Sensibilit?t in der Beurteilung der Situation, sie antwortete mit weitschau-enden ?nderungen und Utopien. Wahrscheinlich machte auch dieses geistige Spannungspotential die Stadt zum Sehnsuchtsziel der Zuwanderer aus Osteuropa. Die unruhi-gen jungen Geister, die in den jüdischen bibliophilen Tradi-tionen Osteuropas heranwuchsen, fanden durch die …Flucht ins Geistige“ einen Weg aus der Diskriminierung und Ghet-toisierung. Eine Alternative zur G ruppendiskriminierung fand die junge jüdische Bev?lkerung im Zionismus Theodor Herzls (1860–1904). Seine Vision vom historischen und nur wiederzubelebenden Staat der Juden stie? auch in den ei-genen Reihen auf Kritik. Vor allem das jüdische Bildungs-bürgertum, das assimilierungsfreudig sich in der deutschen Sprach- und Kulturnation heimisch fühlte, stand einem Pio-nierleben in fremder Umwelt

skeptisch gegenüber.

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Sigmund Freuds Werk …Die Traumdeutung“

…Auf den folgenden Bl?ttern werde ich den Nachweis erbrin-gen, da? es eine psychologische Technik gibt, welche ge-stattet, Tr?ume zu deuten, und da? bei Anwendung dieses

Verfahrens

jeder

Traum sich als ein sinnvolles psychisches G ebilde herausstellt, welches an angeh-barer Stelle in das seelische Treiben des Wachens einzureihen ist.“ So begann Sig-mund Freuds bereits im November 1899erschienenes Werk …Die Traumdeutung“,das allerdings auf dem Deckblatt das Er-scheinungsjahr 1900 tr?gt, so als wollte es mit seinen Erkenntnissen das neue Jahrhundert einl?uten. Die Auflage von 600 Stück war ?u?erst bescheiden, und doch dauerte es acht Jahr bis zum Abver-kauf dieses Werkes. Freud hatte mehr als vier Jahre durch Selbstbeobachtung und Selbstanalyse zu diesem Werk nachge-dacht und gearbeitet. Es war zweifellos eines seiner sehr subjektiv bestimmten Bücher. Freud blieb zeit seines Lebens davon überzeugt, da? nur über Tr?ume der Zugang zu Sph?ren des Unbewu?ten

m?glich w?re. Inzwischen haben seine Nachfolger und G egner manches an sei-ner Theorie gekratzt, doch mindert dies

nicht die grunds?tzliche Bedeutung von Freuds Werk. Für Freud war …Die Traum-deutung“ immer sein liebstes Werk.

Freuds wissenschaftliche Arbeiten erfuh-ren kaum jene Rezeption, die ihnen an-gemessen gewesen w?re. Seine 1895

Bücher schaffen neue Denkwelten

Ideen und Befindlichkeiten

publizierten …Studien über Hysterie“ wurden nicht nur freundlich aufgenommen. Freud blieb aber unerschütterlich dabei, da? das Studium der Tr?ume seiner Patienten am An-

fang der Behandlung von Neurosen stehen müsse. 1916 er-kl?rte er in einer Vorlesung: … ... das Studium des Traumes ist nicht nur die beste Vorbereitung für das der Neurosen,der Traum selbst ist auch ein neurotisches Symptom, und zwar eines, das den für uns unsch?tzbaren Vorteil hat, bei allen G esunden vorzukommen.“ Natürlich war er sich der Provokation bewu?t und sah, was an Kritik auf ihn zukom-men würde. Um die Kritiker zu überzeugen, vermied er es,Tr?ume seiner Patienten als Beispiele anzuführen, sondern verwendete eigene Traumerlebnisse, im vollem Bewu?tsein,wieviel er dabei von sich selbst preisgab. Da? es das Unbe-wu?te im Menschen g?be, war schon vor Freud bekannt,doch die Wege zu manchen Entschlüsselungen lieferte Freuds Werk. Schlüssig wies Freud nach, da? der Traum Wunscherfüllungscharakter habe. Verzerrte Trauminhalte deutete Freude als verp?nte Wünsche, die durch eine gewis-se Traumzensur unkenntlich gemacht würden. Freuds Analy-se des Traumes war so gründlich, da? sp?tere Theoretiker dem kaum etwas hinzufügen konnten. Auch heute noch ist in der Psychoanalyse die Deutung der Tr?ume eines der wichtigsten Instrumentarien geblieben. Freud hat mit seiner Differenzierung von Traum und Wirklichkeit eine innere Welt entdeckt und beschrieben, die bisher nur Dichtern ah-nungsvoll bewu?t war. Der Zukunftsm?chtigkeit

des

Portr?t Sigmund Freuds aus dem Jahre

1929

Buchumschlag zu Sigmund Freuds …Traumdeutung“

mit dem Erscheinungsver-merk 1900

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I d e e n u n d B e f i n d l i c h k e i t e n

Traumes, wie man sie in früheren Zeiten vermutete, erteilte Freud eine Absage: …Und der Wert des Traumes für die Kenntnis der Zukunft? Daran ist natürlich nicht denken. Man m?chte dafür einsetzen: für die Kenntnis der Vergangen-heit. Denn aus der Vergangenheit stammt der Traum in jedem Sinne. Zwar entbehrt auch der Glaube, da? der Traum uns die Zukunft zeigt, nicht v?llig des G e-haltes an Wahrheit. Indem uns der Traum einen Wunsch als erfüllt vor-stellt, führt er uns allerdings in die Zukunft; aber diese vom Tr?umer für gegenw?rtig genommene Zu-kunft ist durch den unzerst?rbaren Wunsch zum Ebenbild der Vergan-genheit gestaltet.“

Der Fall Otto Weininger

Im Juni 1902 wurde der Philoso-phiestudent

Otto Weiniger

(1880–1903) nach Abschlu? seiner Dissertation …Eros und Psyche“ zum Doktor der Philosophie promoviert. Ohne Kenntnis der Arbeiten Sigmund Freuds w?re Weiningers Dis-sertation undenkbar gewesen. Weiningers Freund Hermann Swoboda war ein regelm??iger Besucher der Praxis in der Berggasse 19 und versorgte den Doktoranden mit dem je-weils neuesten Wissens- bzw. Diskussionsstand. Doch trotz der Aktualit?t der verarbeiteten Forschungen wollte Weinin-gers Doktorvater Friedrich Jodl (1849–1914) das Werk kei-nem Verleger empfehlen, waren doch die darin ge?u?erten G edanken zu extrem, die Sprache geradezu exzessiv. Der ungeduldige Weininger wandte sich an Freud, in der Hoff-nung von diesem eine Verlagsempfehlung zu erhalten, doch Freud wies ihn ab. Er hielt den jungen Mann wohl für sehr ernsthaft, aber streng fiel seine Kritik aus. Als Weiningers Werk, vermehrt um die drei Schlu?kapitel …Das Wesen des Weibes und sein Sinn im Universum“, …Das Judentum“ und

…Das Weib und die Menschheit“ doch unter dem Titel …Ge-schlecht und Charakter“ 1903 erschien, fa?te Freud seine Kritik sch?rfer. Antisemitismus, Misogynie und Weiningers seltsame philosophische Aberrationen lehnte er ab.

Für Freud brachte das Erscheinen dieses Werkes noch einen

unangenehmen Urheberrechtsstreit mit seinem Berliner Kollegen Wilhelm Flie?, der seine eigene Theorie von der menschlichen Bisexualit?t durch angebliche Indiskretion Freuds an Weininger und seinen Freund Swoboda verraten fühlte. Es kam sogar zu unerfreulichen Pamphleten gegen

Freud. Karl Kraus, ein Verehrer Otto Weiningers, ergriff in der …Fackel“für diesen Partei. G erade was die Misogynie betraf, stand Kraus dem bewunderten Weininger in nichts nach. So meinte er doch ernstlich:…Bedeutende Menschen haben stets nur Prostituierte geliebt.“,wobei er unter Menschen sichtlich nur M?nner verstand.

Jedenfalls führte dies dazu, da?Weininger in Wien als Schüler und

sp?terer Dissident Freuds galt.Noch dazu erlebte Weiningers Buch – offenbar weil er offen aus-sprach, was viele M?nner dach-ten – einen geradezu sensationel-len Erfolg: Zwischen 1903 und 1932erschienen 28 Auflagen des Bu-ches. Für die Gegner Freuds wurde Weiningers Machwerk zur Argu-mentationswaffe gegen Freuds …Pansexualismus“, ja gegen die Psychoanalyse schlechthin. Karl Kraus tat ein übriges, indem er Weiningers Theorien in der …Fackel“verbreitete. Der italienische Dikta-tor Benito Mussolini bezog sich auf ihn, wenn er meinte: …Weininger hat

mir viele Dinge klar gemacht.“

Titelseite von Otto Weinigers 1903 er-schienenem Buch …Geschlecht und Charakter“

Freud beurteilte Weininger, der in aufsehenerregender Weise noch im Jahr des Erscheinens seines Buches Selbst-mord beging, als einen infantilen Neurotiker, allerdings von au?ergew?hnlicher Begabung. Weiningers Buch ist ein un-gewolltes Protokoll einer Selbstanalyse und sollte als medi-zinischer Befund aus dem Verkehr gezogen werden. Un-glücklicherweise übte der Autor, der so chaotische S?tze schrieb, wie: …Das Weib besitzt kein Ich, das Weib ist das Nichts.“ betr?chtliche Faszination auf eine M?nnerwelt, die sich durch ?u?ere Umst?nde in einer Identit?tskrise be-fand, aus.

Theodor Herzls Vision vom jüdischen Staat

Der Antisemitismus ist kein Ph?nomen des19.Jahrhunderts, allerdings vermochte dieses Jahrhundert dem sch?ndlichen

Diskriminierungsdenken

noch einen rassischen

Aspekt hinzuzufügen. Die

jüdischen Bürger spalteten

sich in zwei, eher ausein-

anderklaffende Denkschu-

len, die einen sahen nur in

der Assimilation, d.h. in

der v?lligen Anpassung

einen Ausweg. Die anderen

meinten, in Segregation, in

der kompletten Trennung

von allen anderen Bewoh-

nern des jeweiligen Staates den Stein der Weisen gefunden zu haben. In Wien hatte der Antisemitismus noch eine spezielle klerikale Note, die durch den Kampf der Christlichsozialen um die Macht ver-sch?rft wurde. Denn die Politiker dieser Partei bedienten sich des Antisemitismus als eines billigen, die niedrigsten Instinkte weckenden Propagandamittels. Und sie hatten Er-folg damit. Denn die in ihren Existenzgrundlagen durch die Industrialisierung bedrohten Kleingewerbetreibenden schenkten nur zu gerne antisemitischen Parolen G lauben. Der Rassenantisemitismus, basierend auf den pseudowis-senschaftlichen Ideen Arthur G obineaus, gewann in Wien unter der deutschnationalen studentischen Jugend zuneh-mend Anh?nger. So verdiente Wissenschaftler, wie der Me-diziner Theodor Billroth (1829–1894), würdigten sich zu Trommlern dieses sozialdarwinistischen edankenguts herab. In zahlreichen Studentenverbindungen wurde der Arierparagraph eingeführt, bedeutende Denker wegen ihrer jüdischen Herkunft der Damnatio memoriae anheimgege-ben. Der deutschnationale und ehemals sehr sozialkritische Politiker Georg von Sch?nerer, der die politische Wirksam-keit dieser b?sartigen Agitation schnell erkannte, wurde zur Leitfigur der Rassenantisemiten. Um die Jahrhundert-wende erschienen zahllose antijüdische Schm?hwerke, die rei?enden Absatz fanden.

Die Aff?re Dreyfus, der angebliche Spionageskandal um einen franz?sischen Offizier, machte allen, die das Zeitge-schehen aufmerksam beobachteten, das Problem deutli-cher. Der aus Budapest stammende und in Wien lebende Journalist und Korrespondent der …Neuen Freien Presse“, für die er über den Dreyfus-Proze? direkt aus Paris berichte-te, Theodor Herzl wandte sich unter dem Eindruck der Hetz-kampagne in Frankreich v?llig vom Assimilationsgedanken ab und propagierte in seiner programmatischen Schrift…Der Judenstaat, Versuch einer modernen L?sung der Judenfra-ge“ (1896) die G ründung eines unabh?ngigen jüdischen Staatswesens in Pal?stina. Ein Jahr sp?ter bereits organi-sierte er den 1. Zionistischen Weltkongre? und wurde Pr?si-dent der zionistischen Weltorganisation. Bis zu seinem Tod im Jahre 1904 trat Herzl unermüdlich immer wieder für seine Vision ein. 52 Jahre nach Herzls Buch wurde sie mit der Gründung des Staates Israel

Wirklichkeit.

Theodor Herzl (re.)

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Goldenes Zeitalter der Secession

Der gro?e Auftakt für die Kunst der Jahrhundertwende er-folgte mit dem Auszug der bildenden Künstler aus dem …Künstlerhaus“ und der folgenden Gründung der …Secessi-on“. Die Künstlergruppe, die sich so deutlich von der bishe-rigen Kunstrichtung absetzen wollte, erbaute sich auch ein neues Ausstellungsgeb?ude, für das die Stadt Wien einen Baugrund an der Friedrichstra?e, nahe dem Naschmarkt zur Verfügung stellte. In kürzester Zeit stellte Joseph Maria Ol-brich einen Neubau für Ausstellungen auf diesen Bauplatz,der alle Erwartungen der Künstler befriedigte, die Wiener Bev?lkerung aber, die sich mit dem neuen G eb?ude nicht anfreunden konnte, zur respektlosen Bezeichnung

Institutionen als Vehikel der Erneuerung

…G oldenes Krauthappel“ veranla?te. Secessionsgeb?ude –es trug über dem Eingang die Inschrift …Der Zeit ihre Kunst,der Kunst ihre Freiheit“ – und die gleichzeitig gegründete Zeitschrift …Ver sacrum“ waren die Foren, wo sich die jungen Rebellen dem Publikum stellen konnten. Die j?hrlich statt-findende Kunstschau pr?sentierte einen überblick über das Kunstschaffen im In- und Ausland, neueste Trends waren an den ausgestellten Werken ablesbar. Schon die erste Aus-stellung hatte einen überw?ltigenden Erfolg. Hermann Bahr schw?rmte darüber: …So eine Ausstellung haben wir noch nicht gesehen! Eine Ausstellung, in der es kein schlechtes Bild gibt! Eine Ausstellung in Wien, die ein Resumé der ganzen modernen Malerei ist! Eine Ausstellung, die zeigt,da? wir in ?sterreich Leute haben, die neben die besten Eu-rop?er treten und sich mit ihnen messen dürfen! Ein Wun-der!“ Dieses Wunder hielt mehr als ein Jahrzehnt an. Die Se-cession sorgte immer für Leben in der Kunstszene, neueste Trends zu zeigen, blieb Programm. So erregten in der Kunst-schau des Jahres 1908/09 nicht mehr die Altmeister wie Klimt das Publikum sondern die jungen Expressionisten Egon Schiele und Oskar Kokoschka. Wie sehr sie das Publi-kum in Aufregung versetzten, macht der Ausspruch des Thronfolgers Franz

Ferdinand (1863–1914) über die Arbeiten

Gustav Klimt,Unzensurierter Plakatentwurf für die erste Secessions-Ausstellung

Titelbild des ersten Heftes der Zeit-schrift …Ver sacrum“

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Oskar Kokoschkas anl??lich einer Aus-stellung im Hagenbund im Jahre 1911deutlich: Er meinte, man mü?te dem Kerl die Knochen im Leibe brechen. Jeden-falls gab es ein Forum für junge Künstler,die nicht den vorgeformten Erwartungen entsprachen, sondern radikal neue Wege gingen.

Gründung der …Wiener Werkst?tte“

Seit Gründung der …Secession“ hatte diese Künstlergruppe auch dem Kunsthandwerk erh?hte Beachtung geschenkt. Es entsprach dem Programm vom Gesamtkunstwerk, das …alle Bereiche des Lebens umfassen“ sollte, da? das Kunsthand-werk gleichberechtigt neben der Arbeit eines Malers oder Bildhauers stand. Josef Hoffmann formu-lierte hierzu den Standpunkt der Secessio-nisten: …Es kann unm?glich genügen,wenn wir Bilder, und w?ren sie auch noch so herrlich, erwerben. Solange nicht unse-re St?dte, unsere H?user, unsere R?ume,unsere Schr?nke, unsere G er?te, unsere Kleider und unser Schmuck, solange nicht unsere Sprache und unsere G efühle in schlichter, einfacher und sch?ner Art den G eist unserer eigenen Zeit versinnbildli-chen, sind wir unendlich weit gegen unse-re Vorfahren zurück und keine Lüge kann uns über alle diese Schw?chen t?uschen.“

Um dieser Programmatik Rechnung zu tragen, gründeten im Jahre 1903 Josef Hoffmann, Kolo Moser (1868–1918) und

Fritz Waerndorfer die …Wiener Werkst?tte“, die sich der Ge-staltung und dem Vertrieb von kunsthandwerklichen Pro-dukten widmen sollte. Vorbild für die …Wiener Werkst?tte“war die englische …Guild of Handicraft“, die im Essex House in London nach den Ideen von John Ruskin und William Mor-ris für jedermann erschwingliche Handwerksprodukte, die bewu?t im G egensatz zu maschineller Fertigung standen,

erzeugte.

Im Laufe der Jahre entstand eine Fülle sch?-ner und auch für bürgerliche Einkommen er-schwinglicher Gegenst?nde, die das Unter-nehmen florieren lie?en. Die Qualit?t der Arbeiten erwuchs aus der Zusammenarbeit von mit den Materialien und Fertigungsme-thoden vertrauten Handwerkern und her-vorragenden Künstlern, die die Entwürfe lieferten. Nach und nach etablierte sich eine K?ufergruppe, die es als Verpflichtung betrachtete, die Produkte der …Wiener Werkst?tte“ zu erwerben, auch um mit die-ser Kunstgesinnung identifiziert zu werden.Allerdings konnte dieses Konzept nur in einer Zeit florierender wirtschaftlicher Ver-h?ltnisse funktionieren. Sobald in den sp?-ten zwanziger Jahren die Wirtschaftskrise einsetzte und die K?uferschichte für die sch?nen Dinge verloren ging, ging auch die …Wiener Werkst?tte“ zugrunde. 1932 kam das Aus für diese Institution, die ursprüng-lich guten Geschmack auch unter das einfa-che Volk

bringen wollte.

Michael Powolny,Bonbon-nieren und Figurine

Dagobert Peche, Ehrengabe für Josef Hoffmann anl??lich seines 50.Geburtstages

Kolo Moser,Prunkkassette

K?rbchen von Josef Hoffmann

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Das Wiener Kaffeehaus und der Wiener Salon

Im Jahre 1897 wurde in Wien das Café Griensteidl geschlos-sen, eine Institution, die für die jungen Literaten eine Heim-statt gewesen war, ein beliebter Treffpunkt, dem alle nach-weinten, ob sie nun zur dekadenten Truppe der Kaffeehaus-literaten geh?rten oder nicht. Das Griensteidl war in erster Linie für den Literatenkreis …Jung Wien“ von Bedeutung,Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal (1874–1929),Schnitzler oder Richard Beer-Hofmann (1866–1945) sa?en ebenso im G riensteidl wie die Autoren und Kritiker der führenden Zeitschriften wie etwa …Moderne Dichtung“. Karl Kraus stand abseits und wurde schlie?lich auch der Kritiker dieser Literatengruppe. In Paraphrasierung des Modewor-tes von der …Décadence“ schuf er den Begriff von der …Kaf-feehausdekadenzmoderne“. Anl??lich der Schlie?ung des G reinsteidl meinte Kraus, da? Wien …jetzt zur G rossstadt demolirt“ würde. Er sah auch mit Freude diese Literatur da-hinwelken, allein sie überlebte und schuf in den n?chsten Jahren noch wichtige Werke.

Die Tatsache, da? das Ende des Café Griensteidl eine Aff?re in Wiens Kulturleben ausl?ste, macht den Stellenwert des Kulturfaktors Kaffeehaus deutlicher. Das Wohnzimmer der Wiener kulturellen Elite um die Jahrhundertwende war h?chst selten ein bürgerlicher Salon, zumeist, ja allt?glich

hielten sich alle jene, die etwas im kulturel-len Leben der Stadt darstellten oder darstel-len wollten, im Kaffeehaus auf. Das Kaffee-haus war der Umschlagplatz der Meinungen,

der gesellschaftliche Raum, wo man allein sitzen und arbeiten konnte und sich doch nicht einsam fühlte. Das Kaffeehaus ersetzte Familienleben, den Debattierklub und die zu-weilen fehlende warme Wohnung. Hier waren Kontakte ohne Verpflichtungen, Begegnun-gen ohne Folgewirkungen m?glich. Das Kaf-feehaus bot den Rahmen für das Flüchtige des Augenblicks, es gab den Fechtboden für kreative Aper?uerfinder ab.

Wenige der jungen und ungestümen Literaten waren in den Salons der Damen der Wiener Gesellschaft zugelassen. In der D?blinger Villa von Franziska Wertheimstein (18441–907) fanden Ferdinand von Saar (1833–1906), aber auch der junge Hofmannsthal Aufnahme und Unterstützung.Der Salon Bertha Zuckerkandls (1864–1945) ?ffnete sich allen modernen Intellektuellen, die Hausfrau war selbst als streitbare Journalistin und Essayistin t?tig und nahm sich als solche der jungen Genies an. Auch Alma Mahler-Werfel (1879–1964) folgte in sp?teren Jahren diesen Fu?stapfen.Das konservative Wien, das die Kunst dieser jungen und ex-zessiven Literaten und Maler strikte ablehnte, traf sich im Salon der Pauline Metternich (1836–1921), die wilde Parfor-ceritte gegen Otto Wagner (1841–1918) oder Gustav Klimt in den ihr nahe stehenden Bl?ttern unterstützte.

Diese Salons als neutrale Orte der Begegnung, aber auch als Bühnen der Selbstdarstellung der jeweiligen Hausfrau nahmen im Diskussionsklima der Stadt

einen wichtigen

Reinhold V?lkel, CaféGriensteidl,im Vorder-grund rechts Peter Alten-berg an einem Tisch

Titelblatt der

dritten Auflage von Karl Kraus’…Die demolirte

Litteratur“

Franziska Wertheim-stein, M?zenin der jun-gen Literaten, Foto nach einer Platintypie nach einem Gem?lde von Franz von Lenbach

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Platz ein. An einem Thema dieser Salons konnte keiner vor-beigehen. Sie waren tonangebend, wenngleich die Breiten-wirkung der einzelnen …Salonl?win“ nicht übersch?tzt wer-den darf. Ihr Einflu? ging kaum über den Frauen generell gew?hrten Spielraum hinaus. Trotzdem wurde eifersüchtig verfolgt, wer in welchem Hause geladen war, bzw. wer die Fronten wechselte und vielleicht gar einen anderen Salon besuchte. So berichtet Karl Kraus seiner langj?hrigen Ver-trauten Sidonie Nadherny (1885–1959), da? Rainer Maria Rilke (1975–1926) ihn nur selten besuche, stattdessen aber in den …H?usern Thurn und Schwarzwald“ verkehre. Vor allem der Salon der Genia Schwarzwald (1972–1940), einer Reformp?dagogin und gro?en Humanistin, war Kraus ein Dorn im Auge. Er lie? kaum eine G elegenheit aus, G enia Schwarzwald zu beleidigen oder sich über ihre …breite Müt-terlichkeit“ lustig zu machen. So schrieb er: …Maria verkehrt bei Frau Sch. Und was es da überhaupt an Melangen geben soll.“ Mit Maria war Rilke gemeint, Sch. steht für Schwarz-wald. Umgekehrt z?hlten Adolf Loos, Oskar Kokoschka und Egon Wellesz (1885–1974) zu den st?ndigen G ?sten im Hause Schwarzwald.

Für das intellektuelle Klima der Stadt spielte auch die G e-schlechterfrage eine wichtige Rolle. Wie überall auf der Welt forderten die Frauen in einer m?nnlich dominierten Welt einen besseren Platz ein. In Emanzipationsbewegungen ar-tikulierten sie ihre Wünsche nach mehr Bildung, mehr Selbstbestimmung und mehr bürgerlichen und politischen Rechten. Vielfach wurde ja den Frauen noch immer ihre Sub-jektivit?t abgesprochen, ihnen ihr Selbstsein verweigert.Frauen, die ihre Forderungen an die G esellschaft pr?zise aussprachen, wurden als St?rfaktoren und l?stige Bittstel-ler immer wieder abgetan. Doch die Frauenfrage wurde durch die m?nnliche Identit?tskrise aktualisiert. Die m?nn-liche Identit?tskrise entstand aus dem Unverm?gen, mit an-geblichen Bedrohungen fertigzuwerden. Prototypisch für diese Denkweise steht Otto Weiningers Leben und Werk. Er spitzte die Kulturkrise leitmotivisch auf den G eschlechter-kampf zu. Die Frau galt ihm als seelenslose Materie, die sich im Widerspruch zum asketischen G eist befindet. Be-wu?t bauten solche Misogyne die Frau als G egensatz zu Ratio und Technik auf. Weininger fand keinen Ausweg aus der Spannung von …erl?sender Weiblichkeit“ und reaktion?-rer, angeblich intakter M?nnlichkeit. So blieb ihm nur der Tod als Ausweg aus seiner verengten Definition der G e-schlechterrollen.

Das duale Denken der Moderne, das paarhafte und ver-s?hnliche Nebeneinander von K?rper und G eist, von Ver-nunft und Wahnsinn – eben von Traum und Wirklichkeit be-fruchtete die Entwicklung von Freuds Theorien, führte aber auch zu sinnlosem Frauenha?, zur negativen Stilisierung

Frauenbilder der

Wiener Moderne

Salondame Bertha Zuckerkandl, Foto

d′Ora-Benda

Die K?mpferin für Frauen-rechte Rosa Mayreder

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der Frau als natürlicher Feind des m?nnlichen Ich. Damit wird die Frau Gegenstand der Forschung, sie wird zum Pro-blem degradiert und damit neuerlich ihres Selbst beraubt.

Doch trotz Otto Weiniger und seiner geradezu rassistischen Frauenfeindlichkeit, trotz Sigmund Freud und seiner über-betonung der Hysterie als weibliches Grundph?nomen mel-deten sich immer mehr intellektuelle Frauen zu Wort, lie?en sich nicht in ihren Standpunkten irre machen und sammel-ten Gleichgesinnte um sich. Die Frauen wollten nicht mehr nur Dulderinnen sein, sie verweigerten sich der Sozialdiszi-plinierung, der Reduktion auf die weibliche Natur. Sie kün-digten ihre Funktion als sch?ner Spiegel, als gl?nzender Hintergrund für M?nner auf. Sie selbst begehrten in den Fortgang der Entwicklung einzugreifen. Sie waren es leid,als inspirierende Muse einen marginalen Platz einzuneh-men. Die Reaktionen der M?nner fielen dementsprechend alarmiert aus. Die kreative Frau, die die Entfaltung der eige-nen Pers?nlichkeit als Recht einforderte, wurde als G efahr d?monisiert, mit dem Instrumentarium m?nnlicher Machter-haltung wurde ihre sch?pferische Leistung minimalisiert oder eliminiert. Ein typisches Beispiel für das Schicksal des Kreativit?tsverbots bietet das Verh?ltnis von Gustav Mahler zu seiner viel jüngeren Frau Alma, einer begabten Musikerin und wahrscheinlich auch kreativen Komponistin. Als Mahler sich entschlo?, das junge M?dchen zu heiraten, stellte er brutal und egoistisch von vornherein fest, wer in dieser Ver-bindung der Kreative sein darf: …Wie stellst Du Dir so ein komponierendes Ehepaar vor? Hast Du eine Ahnung, wie

l?cherlich und herabziehend vor uns selbst so ein eigentümliches Rivalit?tsverh?ltnis werden mu?? Wie ist es,wenn Du gerade in ′Stimmung` bist, und aber für mich das Haus, oder was ich gerade brauche besorgen, wenn Du mir,wie Du schreibst die Kleinigkeit des Lebens abnehmen sollst? ... Aber da? Du so werden mu?t, wie ich es brauche,wenn wir glücklich sein sollen, mein Eheweib und nicht mein College, das ist sicher. Bedeutet dies für Dich den Ab-bruch Deines Lebens, und glaubst Du auf einen Dir unent-behrlichen H?hepunkt Deines Seins verzichten zu müssen,wenn Du Deine Musik ganz aufgibst, um die meine zu besit-zen, und auch zu sein?

Du hast von nun an nur einen Beruf: mich glücklich zu ma-chen! ... Du mu?t Dich mir bedingungslos zu Eigen geben, –die Gestaltung Deines zukünftigen Lebens in alle Einzelhei-ten innerlich von meinen Bedürfnissen von mir abh?ngig machen, und nichts dafür wünschen, als meine LIEBE! Alma,was das ist kann ich Dir nicht sagen, zuviel schon habe ich von ihr gesprochen! ...“ Alma Mahler flüchtete in die Rolle der Muse, ihr Leben lie? sie von sie bewundernden M?n-nern bestimmen. Ihre Kreativit?t lebte sich in der gezielten Auswahl der ihr ad?quat erscheinenden Genies aus.

Diese Wiener Moderne und vorwiegend ihre literarischen Heroen reduzierten die Frauen zu sexuellen Gesch?pfen, zu Spiegeln für m?nnliche Verehrungsqualit?t. Peter Altenberg

(1859–1919), der Bewunderer der m?dchenhaften Weiblich-

Postkarte aus der Sammlung Peter Altenbergs, …Die absolut idealen Beine! Die 13-j?hrige Evelyne H..., PA 1916“

Alma Mahler-Werfel, die Muse der Genies, Foto d′Ora-Benda

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